Ali und Ramazan von Perihan Magden

Vor einiger Zeit hatte ich hier an dieser Stelle das erste ins Deutsche übersetzte Buch von der Journalistin und Autorin Perihan Magden mit dem Namen „Zwei Mädchen. Istanbul story“ vorgestellt. Wir hatten damals die Autorin auch lange auf der Buchmesse in Frankfurt interviewt. Sie ist eine wirklich beeindruckende Frau, die soziale Missstände in der Türkei schonungslos ausfindig macht und deutlich kommentiert.

 

„Ali und Ramazan“ wurde im Jahr 2010 zum Buch des Jahres in der Türkei gewählt, es wird gerade verfilmt. Es geht um „Seite 3“-Jungs – die Seite 3 ist diejenige, auf der Verbrechen, Todesfälle usw. berichtet werden. Und im Jahre 1992 las nun die Autorin vom Tod eines jungen Prostituierten, von Ramazan. Sie recherchierte diesen Fall und schrieb ein halb dokumentarisches und halb literarisches Buch darüber.

 

Der wunderschöne Ramazan ist in einem Waisenhaus in Istanbul untergebracht. Er wird von allen bewundert, nicht alleine deswegen, weil er jeden beim Murmeln spielen besiegt, er ist der Anführer der Jungen im Waisenhaus. Dann kommt Ali, der Kurde, aus einem Bergdorf, niemand weiß, was mit ihm Schlimmes passiert ist, er ist groß, stark, ein Bär. Vom ersten Moment sind sich die beiden Jungen sympathisch, ziehen sich gegenseitig an. Ramazan, der vom Waisenhausdirektor geliebt und vor allem regelmäßig missbraucht wird, verliebt sich genauso in Ali wie umgekehrt. Als sie mit achtzehn Jahren aus dem Waisenhaus in eine ungewisse Zukunft entlassen werden, gibt ihnen nur diese Liebe Kraft. Doch nicht lange. Als sie den ersten freiheitlichen Liebestaumel hinter sich haben und den harten Alltag gemeinsam bewältigen müssen, beginnen sie zu verstehen: Es geht nicht ohne einander, aber auch nicht miteinander. Es ist eine sehr ambivalente Beziehung, die die beiden führen. Der jähzornige Stricher Ramazan und der hypersensible Ali, der bald den Drogen verfällt. 

 

Perihan Magden erzählt in diesem Roman eine sehr tragische, aber vor allem sehr wichtige Geschichte, die in den Achtzigern und Anfang der 90er Jahre spielt. Wichtig deswegen, weil sie Themen anspricht, die in die Öffentlichkeit müssen. Die verheerenden Zustände in den türkischen Waisenhäusern, die mangelhafte Bildung und damit katastrophalen Zukunftsaussichten der jungen Waisen zum Beispiel. Oder der Umgang mit Homosexualität in einer patriarchalen türkischen Gesellschaft. Sowohl Ali als auch Ramazan begreifen sich nicht als schwul, nur weil sie einander lieben. Bei Ramazan geht der Hass auf seine schwulen Freier, die er selbstverständlich fickt, sehr weit. Auch die Freunde des Waisenhausdirektors, ein offensichtlicher Kinderficker, greifen nicht ein, sie scheint das gar nicht zu stören, es wird nicht geahndet. Alle Freunde aus dem Waisenhaus erleben ähnliche Schicksale wie Ali und Ramazan, alle landen nach dem 18. Lebensjahr auf der Straße, schaffen es nicht, sich zu berappeln. Alles erscheint aussichtslos, ihr ganzes Leben ist verkorkst. Man weiß auch nicht, welche schlimmen Sachen Ali erlebt haben muss, die er nicht mal seiner großen Liebe Ramazan erzählt hat, sondern nur einer Psychologin. 

 

Es ist ein erschütternder Text, deprimierend vielleicht auch – und vor allem sehr sehr tragisch. 

Leider hat Perihan Magden, anders als bei „Zwei Mädchen. Eine Istanbul Story“ die Figuren nicht besonders gut im Griff, wahrscheinlich weil sie sie zu wenig kennt. Deswegen erscheinen sie etwas holzschnittartig und oberflächlich. Zudem scheinen ihr die sozialen Zustände, von denen sie erzählt, weitaus wichtiger als die literarischen Aspekte zu sein. Nur so lässt sich erklären, wieso ihre Dramaturgie so daneben geht. Weil sie sehr viele Dinge schon vorausschauend erzählt, bleibt wenig Spannung übrig, man denkt sich ja schon immer, was passieren wird. So geht der Lesespaß manchmal etwas verloren. Leider. Nichtsdestotrotz ist „Ali und Ramazan“ empfehlenswert, weil so viele missliche Zustände und so viele Vorurteile in so einer homophoben Kultur, in der Homosexualität ausschließlich im Verborgenen ausgelebt wird, beschrieben werden. Ich hoffe, dass sich diese „Zustände“ in der modernen Türkei etwas zum Vorteil verbessert haben. Sowohl die Waisenhäuser als auch die Bildung dieser Waisen, ihre Zukunftschancen und natürlich ebenso der Umgang mit Homosexuellen in der Gesellschaft.

 

Der Roman „Ali und Ramazan“ ist im November 2011 im Suhrkamp Verlag in Klappenbroschur erschienen, umfasst 191 Seiten und ist für 13,95 Euro im Fachhandel erhältlich.

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