Chi l´ha visto – Wo bist du? von Claudia Rorarius

Das Roadmovie Chi l´ha visto – Wo bist du? von Regisseurin Claudia Rorarius ist eine spannende Angelegenheit: Es wurde nämlich durch eine Crowdfunding-Aktion erst möglich. Das heißt, dass die Regisseurin im Internet auf einer speziellen Plattform Menschen gesucht hat, die diesen Film sponsern. Eine schöne Aktion.

Erzählt wird die Geschichte des jungen Halbitalieners Gianni Meurer, der bei seiner Mutter in Deutschland aufwuchs, und der nun fünfundzwanzig Jahre später seinen leiblichen Vater sucht. Alles, was er hat, ist ein Foto, als der 22 oder 23 war, ein paar Briefe und eine ungefähre Ahnung, dass der Vater in Rom oder Umgebung sein könnte. Er macht sich also auf den Weg nach Italien und redet dort mit vielen Menschen, um nach dem Verbleib seines Erzeugers zu recherchieren…

Auf den ersten Blick eine klare Sache, eine Geschichte, wie sie in Privatfernsehen-Formaten gerne auftaucht. Ein Format, dass auch in Italien zu sehen ist, es gibt dem Film seinen Namen: „Chi l´ha visto“. Und dort möchte sich Gianni anmelden. Eine Geschichte also, die sich um Identität dreht, die persönliche, aber auch die nationale Identität. Die Fragen: Wer bin ich? Was macht mich aus? Woher komme ich? Was hat mich geprägt?

Gleich zu Beginn seiner Reise kauft er sich ein Juventus Turin Trikot, danach ein Italien-Trikot. Er lernt mit einer CD Italienisch. Er sucht sich selbst. Doch kann er sich finden? Kann er sich wirklich finden in seinem Gerüst aus Lügen, dass er sich um seinen Vater aufgebaut hat? Oder sucht er gar nicht wirklich seinen Vater?

Der Film ist also sehr viel komplexer, als er im ersten Moment erscheinen mag. Denn Fiktion und Realität, Rolle und Schauspielerbiografie verweben sich in diesem Film auf untrennbare Weise: Gianni Meurer heißt auch im wahren Leben so. Er ist ein bekannter Musicalstar in Deutschland und hat die gleiche Geschichte wie die Figur, die er spielt. Auf seinem Weg trifft er auf Paul, der von Paul Kominek gespielt wird. Der ist im wahren Leben ein Musiker, der unter dem Namen „Turner“ beziehungsweise „Pawel“ auftritt.

Dieser Film ist zwar kein Dokumentarfilm, die Regisseurin Claudia Rorarius arbeitet jedoch mit den ästhetischen Mitteln dieses Genres. So fühlt man sich als Zuschauer noch näher dran. Auch die improvisierten Dialoge erwecken den Anschein von Authentizität. Was sich damit ein wenig beißt, sind die wunderschön fotografierten Landschaftsaufnahmen, die dem Film etwas Lyrisches, Unnahbares geben.

Der Film erscheint alles in allem etwas sehr fragmentarisch, die Geschichte ist nicht ganz ausgereift, die Leerstellen, die er offen lässt, sind vielleicht zu viele. Mitunter kommt Langeweile auf, weil man keine Richtung erkennt, wo die Geschichte hin möchte. Gianni Meurer kann den Zuschauer allerdings immer wieder mit seiner überzeugenden Leistung zurückholen. In seinem nächsten Projekt wird er übrigens mit Moritz Bleibtreu an der Seite zu sehen sein.

Das Roadmovie Chi l´ha visto – Wo bist du? von Regisseurin Claudia Rorarius läuft zurzeit im Kino Orfeo´s Erben in Frankfurt. 

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Swans von Hugo Vieira da Silva

Der Verleih Salzgeber hat sehr viele anspruchsvolle Filme in seinem Programm, einer meiner Lieblingsfilme ist zum Beispiel „Wild Tigers I Have Known“, ein anderer „Glue“. Sehr anspruchsvolle Filme, die man sicherlich in seinem DVD-Regal in die Reihe der Arthouse-Filme stellen kann. Natürlich sind die Filme unterschiedlich sehenswert und unterschiedlich gut, manche sind richtige Burner und zu Unrecht nicht sehr bekannt, manche dagegen…

In dem Film „Swans“ von Hugo Vieira da Silva kommen ein Vater und sein halbwüchsiger Sohn nach Berlin. Der Junge hat seine Mutter, die jetzt im Krankenhaus im Koma liegt, niemals zuvor gesehen, und der Vater sieht sich mit einer ungeklärten Vergangenheit konfrontiert. Die fremde, winterlich graue Stadt und die bedrohlich wirkende Klinik verunsichern beide, und auch die Wohnung der Mutter, in der der Junge mit seinem Vater unterkommt, ist bedrückend. Aber es gibt dort eine ebenso geheimnisvolle wie attraktive Mitbewohnerin, die Freundin der Mutter. Während der Vater auf Heilung hofft, geht der Junge auf Streifzüge in die Stadt. Eine aufgeladene Atmosphäre entsteht zwischen Distanz und Verlangen, zwischen Berührungsangst und Todesnähe, zwischen Langeweile und wilden Skateboard-Fahrten.

Der Regisseur versucht ein eigenes einschneidendes Erlebnis, einen Besuch bei einer an Krebs erkrankten Freundin, die plötzlich ins Koma fällt, in diesem Film zu verarbeiten. Was ihn am meisten faszinierte war diese Stille, die von den reglosen Körpern ausgeht, die Atmosphäre auf so einer Station. So arbeitet er in diesem Film mit wenig Ton, mit vielen Bildern. Der Film spielt an wenigen Plätzen, die eigenartig steril und gleichzeitig bedrückend wirken, die Klinik, das Apartment der im Koma liegenden Mutter, die Skateboard-Halle.

Auch der Umgang der einzelnen Personen untereinander ist ein sehr eigenartiger, es wird kaum gesprochen, es herrscht Beziehungslosigkeit vor. Insbesondere zwischen Vater und Sohn. Jede Figur versucht auf ihre Weise, in Beziehung zu treten, sich mit der Situation auseinanderzusetzen. Der Junge tut dies unter Zuhilfenahme seines Körpers und seiner Sexualität, aber auch des Körpers seiner Mutter, der ihm zunächst ebenso fremd ist wie die Person an sich. Er kann sich nicht an sie erinnern. Und nun liegt sie im Koma vor ihm und er weiß nicht so recht… Seine Inbesitznahme dieses nicht mehr wirklich lebenden Körpers ist leicht verstörend. Der Vater versucht Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft in Einklang zu bringen, doch der Sohn verweigert sich.

Die geheimnisvolle Freundin der Mutter verstört ebenso, einerseits durch das Geheimnis, das im Laufe des Films lapidar aufgelöst wird, andererseits durch diese Bewegungslosigkeit, die sie auszeichnet. Der Film wird nicht durch Handlungen vorangetrieben, eigentlich wird er gar nicht vorangetrieben. Es scheint sich die Starre, die von der im Koma liegenden Mutter ausgeht, auf alles zu legen. Der Film besteht aus Aufnahmen, aus Bildern, kleinen Stillleben. Er möchte Langeweile abbilden. Und tut dies wirklich sehr gut. Nur ist es ein schmaler Grat zwischen Langeweile abbilden und einen öden Film anschauen müssen.

Lobende Worte sind allerdings über Ralph Herforth, der den Vater, und Kai Hillenbrand, der den Sohn spielt, zu verlieren. Sie wirken authentisch und insbesondere ersterer ist ein Klasse Schauspieler, den man gerne öfter in Filmen sehen möchte.

Der Rezensent ist sehr zwiegespalten zwischen „Habe ich wohl nicht ganz verstanden“ und „Vielleicht war er doch so öde, wie ich ihn empfunden habe“.

Gerne möchte ich euch aufrufen, ihn euch selbst anzuschauen. Er läuft seit 14.7. in deutschen Kinos. Leider im Mal Seh´n Kino nur zwischen Donnerstag, dem 14.7., bis Sonntag, den 17.7., um 17.45 Uhr. Aber auf Salzgeber.de wird es ihn sicher bald als DVD geben. 

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House of Boys von Jean-Claude Schlim

Betrachtet man das DVD-Cover des Films „House of Boys“ des Luxemburger Regisseurs Jean-Claude Schlim, dann bekommt man einen ganz guten Vorgeschmack auf das, was man sehen wird. Einen Film nämlich, der nicht so ganz weiß, welches Genre er sein möchte und in welche Richtung er gehen soll. Die Geschichte, die in 1984 spielt, ist einfach erzählt: Ein letzebuergischer Junge namens Frank hat sein miefiges Leben satt. Er wird von den anderen Jungen wegen seines Schwulseins angefeindet, seine Eltern verstehen ihn nicht. So entscheidet er sich nach dem Abschluss nach Amsterdam zu flüchten. Seine Begleiterin setzt sich mit ihrem Boyfriend sehr bald ab und so sucht er ein neues Zuhause. Und findet es bei der exzentrischen Madame im House of Boys. Einem Nachtlokal im Herzen der Gayszene Amsterdams. Dort taucht er als Tänzer und Stripper in eine ganz neue Welt ein. In eine aufregende Welt, in der es um Sex, Klischees, schwule Musik und eine neue Krankheit geht, die als „Schwulen-Pest“ bekannt wird. Namhafte Akteure des queeren Lebens stellen Protagonisten dar, insbesondere Stephen Fry und Udo Kier, der die Madame spielt, aber auch Dschungelkönig Ross Antony. Die Hauptrolle spielt der bisher unbekannte Layke Anderson.

Der Film „House of Boys“ aus dem Jahr 2010 ist nicht leicht zu rezensieren. Einerseits spürt man den guten Willen, der hinter dem Film steckt, nämlich das Thema AIDS wieder etwas in den Vordergrund zu stellen. Die Aufklärung und den wichtigen Umgang mit dieser Krankheit nicht in Vergessenheit geraten zu lassen. Man denke an das Jubiläum der AIDS-Hilfe in Frankfurt: 25 Jahre – und das Thema ist aktueller denn je. Andererseits erinnert der Film die meiste Zeit abwechselnd an den völlig missratenen Film „Burlesque“ mit Cher und Christina Aguilera und den Kino-Hit „Philadelphia“ von Jonathan Demme. „House of Boys“ ist genauso platt und klischeehaft wie „Burlesque“ und genauso überholt wie „Philadelphia“, der für die damalige Zeit sehr wichtig und gut war.

Die Figuren sind wenig glaubhaft: Sowohl Layke Anderson, der immer wie ein verschrecktes Reh in die Kamera schaut, als auch die Rolle von Benn Northover, der einen heterosexuellen Stripper in einem schwulen Nachtlokal spielt. Er hat nicht nur eine Freundin, die ein Kind von ihm bekommt, er prostituiert sich sogar. Die Männer müssen nur genug hinlegen, damit er seinen Allerwertesten… Nun gut. Aber es kommt noch besser. Plötzlich kommt er mit dem kleinen in ihn verliebten Frank zusammen, gesteht ihm, dass er das erste Mal einen Mann küsst. Und dann beginnen schwülstige Dialoge, für die man das Drehbuchteam um Jean-Claude Schlim wirklich nicht beglückwünschen möchte. Und die Sex-Szenen? Ich kann mir vorstellen, dass es so manchem nicht schwulen Zuschauer vielleicht etwas zu viel ist.

„House of Boys“ ist trashig, wo er gerne künstlerisch sein möchte. Er ist pädagogisch und altbacken, wo er aufklärerisch und wichtig sein möchte. Er ist zu pornös, um als Aufklärungsfilm zu dienen, er ist zu flach, um als Kunstfilm in die Reihen der Arthaus-Filme aufgenommen zu werden. Und trotzdem möchte ich den geneigten Zuhörer_innen empfehlen, diesen Film der FILMLICHTER GmbH, der von Lighthouse Home Entertainment vertrieben wird, zu erstehen. Alleine, um mit mir darüber zu diskutieren. Vielleicht sehen es Zuschauer_innen aus anderen Generationen ja anders…

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Herzensbrecher von Xavier Dolan

Er ist das neue Wunderkind des gegenwärtigen Kinos. Nachdem er schon mit „I Killed my Mother“ begeistern konnte, überzeugte er bei den Filmfestspielen in Cannes 2010 mit seinem neuen Film „Les amours imaginaires“ die Jury auch als Drehbuchautor und Hauptdarsteller und gewann prompt den „Prix Regards Jeunes“. Völlig verdient in meinen Augen. Wenn er „nur“ Filmreferenzen, quasi Anleihen an Wong-Kar Wai, Luc Godard oder Francois Ozon abliefern würde, dann wäre er langweilig, dann könnte er niemanden begeistern – seine Kunst besteht darin, diese Techniken zu benutzen und in einen neuen Kontext zu stellen. So dass man den Eindruck hat, sich an etwas erinnert zu fühlen, und gleichzeitig trotzdem etwas ganz Neues zu sehen. Beim Verzaubertfilm-Wochenende in Frankfurt hatte ich die Gelegenheit den wundervollen Film, der am 7.7. in den deutschen Kinos anläuft, vorab zu sehen.

Die Geschichte ist so simpel wie altbekannt: Francis (Xavier Dolan) und Mary (auch im wirklichen Leben die beste Freundin Dolans, Monia Chokri) sind untrennbare Freunde. Sie schlängeln sich stilsicher und ihrer Attraktivität stets bewusst durch die Hipsterszene Montréals. Bei einer Party begegnen die beiden Nick (Niels Schneider), menschgewordener Apoll, mit seinen blonden Locken, seinem hübschen Modell-Gesicht, der sie mehr und mehr in seinen Bann zieht. Fortan treten die beiden engen Freunde in einen Wettkampf um Nicolas, dem sie hilflos ausgeliefert sind. Sonst so souverän und zielsicher, verwickelt sie Nick in ein Spiel, das beide nur verlieren können, denn – wie man weiß: macht es einen verletzlich und schwach, seine Liebe offen zu zeigen. Und Nick spielt gut, ein bisschen kindliche Neugier, ein bisschen scheinbar uneitler Intellekt, ein bisschen reserviertes Flirten, ein hinreißendes Lächeln – und schon verzaubert er die beiden. Schließlich soll ihnen ein Wochenendtrip aufs Land eine Klärung schaffen, für wen sich Nicolas entscheiden möchte.

Eine einfache Geschichte also, genauso übrigens wie in I Killed my Mother. Xavier Dolan konzentriert sich auf eine Hauptgeschichte und verzichtet auf komplizierte Nebenstränge, die alles verkomplizieren. Dafür legt er all seine Phantasie und Kraft in die Geschichte. Seine Dialoge kurz, von eigenem Witz, er lässt seine Figuren nicht alles kaputtreden, vielmehr zeigt er ihre Emotionen in ihren Gesten, in ihrer Mimik. Kleine Blicke, kleine Berührungen, die sehr viel mehr aussagen als tausend Worte. Dabei hat Xavier Dolan keine Angst, immer wieder einzelne kitschige Szenen einfließen zu lassen, im Gegenteil, es macht ihm Spaß, dieses ironische Spiel. Unterbrochen wird dies durch Interviews von Menschen, die von ihrem schlimmsten Herzeleid berichten, schließlich sind wir alle solchen Nicks begegnet, haben uns unsterblich in die falsche Person verliebt. Und haben Liebesbekundungen in kleine Gesten hineininterpretiert, oh, er hat mich am Bein berührt, er hat mich angelächelt, er wollte dies und das – er hat doch Gefühle für mich, oder? 

Man leidet mit den beiden Freunden mit, drückt ihnen die Daumen und wünscht beiden ein gutes Ende. Wird es eines haben? Schaut es euch selbst an, ab 7.7. in deutschen Kinos. 

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