Die indonesischen Schwestern von Sandra Wöhe

Ich muss zugeben, dass ich zunächst die Befürchtung hatte, einen ähnlichen Stoff lesen zu müssen, wie den, den Sandra Wöhe in ihrem letzten Roman bzw. Hörbuch „Giraffe im Nadelöhr“ bearbeitet hatte. Dieses Werk war durchaus amüsant und technisch gut gemacht (insbesondere das Hörbuch mit der hervorragenden Nela Bartsch), aber noch so einen „Lesbenroman“, der mit Liebesszenen und Liebesgeflüster nicht gerade sparsam umgegangen ist, hätte ich mir als schwuler Mann nicht mehr geben wollen.

Umso überraschter, aber auch umso freudiger, war ich, als ich ein Buch in Händen hielt und las, das meiner Meinung nach ein sehr gut geschriebener Familienroman ist. Er handelt von einem „Frauen“-Haushalt: noch in Indonesien verstirbt überraschend der deutsche Ehemann von Phyllis, die sich dazu entscheidet, mit ihren drei Töchtern ihr Heimatland zu verlassen und in des verstorbenen Mannes´ Heimatdorf nach Nordrhein-Westfalen zu ziehen. Obgleich sie perfekt Deutsch sprechen, werden sie jahrelang als Fremde betrachtet, als die „Schlitzaugen“ in diesem Dorf, die auf Schritt und Tritt beobachtet und kommentiert werden. Die Frauen tratschen über sie, die Männer gieren nach ihnen.

Der Roman erzählt kunstfertig vier Tage aus dem Leben der Damen, beginnend drei Jahre nach Ankommen in der Stadt, als das uneheliche Kind der jüngsten Tochter auf die Welt kommt. In den nächsten drei Kapiteln wird immer ein weiterer Tag pro Jahr der Kosmos dieser starken Frauen beschrieben, mit all den Verwicklungen im Alltagsleben der Heldinnen. Ja, es ist ein Roman über Integration, vermutlich über misslungene Integration, aber nicht, weil die Heldinnen sich nicht „integrieren“ können – schließlich ist so etwas beidseitig -, sondern weil sie es nicht dürfen, es wird ihnen nicht gestattet. Eine der Töchter ist lesbisch, ja, und es wird in einer Kritik lamentiert, dass dieses Lesbischsein nicht genug thematisiert wird in diesem Roman. Phyllis, die Mutter, nimmt die Tatsache, dass ihre Tochter nun eine Freundin hat, sehr locker hin, ohne sich darüber Gedanken zu machen. Doch es würde zu dieser weisen Frau, die in ihrer neuen Heimat so verloren scheint, nicht passen, ein Drama daraus zu machen. Es ist eine fein-gesponnene Erzählung mit vielen spannenden Formulierungen, die aus dem Indonesischen kommen, es ist wahrscheinlich das persönlichste Buch der Autorin niederländisch-indonesischer Herkunft, die nun in der Schweiz lebt. Die Charaktere sind nicht nur sehr nachvollziehbar, sie sind sehr sympathisch und haben einen ganz eigenen Humor. Schön ist, wie zum Beispiel Gritta, die jüngste Tochter, Kopftuch trägt wie ihre muslimische Freundin Suleika, um sich mit der zu solidarisieren, sogar für sie den Kopf hinhalten würde. Und man regt sich automatisch über diese dämlichen deutschen Nachbarn auf, wenn sie die Frauen ungerecht behandeln, so viel Identifikationspotenzial hat dieser Roman zu bieten.

Es ist absolut lohnenswert, diesen Roman „Die indonesischen Schwestern“ von Sandra Wöhe zu lesen. Er ist im Konkursbuch Verlag Claudia Gehrke im Jahr 2011 erschienen. Die kartonierten 288 Seiten sind für nur 9,90 Euro im Fachhandel zu erhalten.

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