Eine italienische Liebe von Phillippe Besson

 

Es ist eine banale Weisheit: In Romanen kommt es auf die Sprache an. Wieso ich das so hervorhebe? Ist das nicht zu trivial, um es extra zu betonen? Ist es nicht. Den meisten Lesern ist das so nicht bewusst. Muss es auch nicht. Das Lesen hat verschiedene Funktionen. Manche schalten ab, manche fliehen in fremde Welten, manche möchten erregt werden, andere wollen Gänsehaut bekommen. In erster Linie geht es in diesen Leseweisen um Inhaltliches. Der Text muss leicht lesbar sein, aber nicht zwangsläufig sprachlich niveauvoll. Die Handlung ist spannend, aufregend, attraktiv. Wieso sollte es in einem Roman von Elizabeth George Schachtelsätze geben wie in Thomas Bernhards Texten? Trotzdem kann sie sehr gut schreiben. Nur macht man sich keine Gedanken über den Satzbau, die Formulierungen. Und selten denkt man: Wow, welch wahrer Gedanke!

In Philippe Bessons Bücher ist das anders. Er hat die Fähigkeit, Wahrheiten in einfacher und doch wunderschöner Art und Weise zu äußern. Ähnlich wie bei Sachbüchern ist man ständig dazu geneigt, Sätze zu unterstreichen, Bemerkungen daneben zu schreiben. Sie üben eine Faszination aus, sie erfreuen in einem Maße, das etwa mit der Energie zu vergleichen ist, die Gläubige durch schöne Psalmen erhalten.

In Bessons Roman „Eine italienische Liebe“ erzählt er eine ganz besondere Liebesgeschichte, die eine Dreieckskonstellation darstellt, was allerdings Anna, die feste Freundin von Luca, nicht weiß. Er hatte nebenher mit dem Bahnhofsstricher Leo eine Affäre. Doch davon erfährt die Frau erst nach dem Tod Lucas, während Leo bereits die ganze Zeit als Geliebter Bescheid weiß. Er wiederum gerät in Verdacht, den unter ungeklärten Umständen im Fluss Arno Verstorbenen umgebracht zu haben. Der Roman wird in fragmentarischen und alternierend angeordneten Sequenzen aus der jeweiligen Ich-Perspektive seiner drei Hauptfiguren erzählt. Dabei besteht eine eigenwillige und humorvolle Besonderheit darin, dass Luca, unmittelbar bevor er zum ersten Mal das Wort ergreift, verstorben ist. Das ist der Rahmen, den Besson für Reflexionen auf die großen Themen der Literatur, bietet: Leben und Tod, Zeitlichkeit und Zeitlosigkeit, die Nähe von Glück, körperliche und emotionale Liebe, Eigen- und Fremdwahrnehmung. Für Anna stellt sich die Frage, wie gut sie ihren ehemaligen festen Freund tatsächlich kannte, und was wohl noch alles ans Tageslicht gerät. Leo hingegen denkt vor allem darüber nach, dass Luca der einzige Mann in seinem Leben war, zu dem er eine Beziehung aufbauen konnte.

Luca liebte beide, auf seine Weise. Anna weil sie ihn nicht ausfragte, ihn so sein ließ, wie er war, ihn nicht drängte. Weil sie ihn AC Florenz- Fan sein ließ, ihn nicht zur Hochzeit zwang, und vor allem, weil sie ihm innere Ruhe gab. Er war wunschlos glücklich mit ihr. Und dann kam Leo. Und er wurde noch glücklicher. Vom ersten Moment hatte er ein Glücksgefühl, während sie miteinander schliefen, und das blieb bis zum Schluss so.

Luca erzählt Leo von Anna:

„Es gibt eine junge Frau in meinem Leben. Sie heißt Anna. Ich weiß nicht, wie lange sie in meinem Leben bleiben wird. Vielleicht das ganze Leben lang. Heute jedenfalls ist ihre Anwesenheit unanfechtbar.“ Ich habe darauf nur geantwortet: „Ich fechte sie nicht an. Ich bin anderswo.“

Es gibt Sätze, die spricht man fast zufällig aus, ohne viel zu überlegen, ohne sie auszufeilen, unbesorgt um ihre Wirkung. Sie sprudeln einfach heraus, auf eine völlig naive Weise, ohne jeden Hintergedanken. Es sind irgendwie kindliche, intuitive, unbeabsichtigte Sätze. Und plötzlich treffen sie ins Schwarze. Sind absolut richtig, vollkommen adäquat. Wir können wie eine Offenbarung. Staunend befällt einen. Das Staunen der Kinder, ihre ungläubige Freude.

„Ich bin anderswo“ war einer jener Sätze für Luca. Dieser Satz hatten blitzartig aufgeklärt, hat ihn der Unschuld zurückgegeben. Der Satz hat alle Probleme aus der Welt geschafft. Er hat ihn von der Last befreit, Erklärungen geben zu müssen.

Luca analysiert die Situation der beiden zurückgelassenen geliebten Menschen:

Armer Leo. Sie werden ihn demütigen, ihn über die Grenzen des Schamgefühls hinaustreiben, ihn zwingen, das Unsagbare zu sagen. Und ihm wird nichts anderes zur Verfügung stehen als sein armseliges Vokabular, das der glücklichen Menschen, und seine Brutalität, die der kleinen, miesen Halunken, denn so nennt man Leute wie ihn leichthin. Sie werden Details, Daten, Orte, Umstände wissen wollen. Werden seine Aussagen auf gemeine Weise infrage stellen. Werden ihm zu verstehen gegeben, dass sie sich nichts vormachen lassen, dass man sie nicht für Dummköpfe halten darf. Und er wird in Rage geraten, Ausflüchte benutzen und sich, ohne es zu wollen, ins Unrecht setzen. Sie werden ihn manipulieren, ihm drohen, ihm schmeicheln, je nachdem, schließlich wird er nachgeben. In solchen Situationen behält immer die Schwäche die Oberhand. Die Kleine hat ihre Wurzeln in der Kindheit, sie hat ihn nie verlassen. Seine Härte tritt nur nach außen in Erscheinung.

Arme Anna. Sie wird sich in den Qualen eines endlosen Knäuels von Fragen verlieren. Sie wird wie ein Stück Holz sein, das in einem tiefen Brunnen geworfen wird und mit einem dumpfen Geräusch gegen die Umrandung schlägt, und dessen unterhaltsamer Fall sich beschleunigt, bis es einen immer weiter entfernten Grund berührt. Auf der Suche nach einer immer weiter von ihr zurückweichenden Grenze wird sie neue und trostlose Territorien entdecken. Annäherungen und Interpretationen werden ihr nicht erspart bleiben. Sie wird allen Mut zusammennehmen und sich an jedem Strohhalm festhalten müssen. Um vom Treibsand, in dem sie ums Überleben kämpft, nicht verschlungen zu werden, wird sie sich mit den Händen an dem Stock festklammern, den man ihr hinhält. Sie wird zu spät erkennen, dass es sich um eine scharfe Klinge handelt.

„Eine italienische Liebe“ von Phillippe Besson ist eine wundervolle Lektüre, gerade für die Osterferien. Diese Geschichte ist psychologisch feinsinnig geschrieben, lebt von wunderschönen Bildern über die geliebten Personen. Faszinierend ist, wie präzise und unpathetisch Phillippe Besson die menschlichen Abgründe beschreiben kann. Er benötigt kein Brimborium, keine großen Worte. Es ist daher schade, dass ihn noch viel zu wenig Menschen kennen. Das muss sich ändern.

Der Roman „Eine italienische Liebe“ ist bereits 2004 im Deutschen Taschenbuchverlag erschienen und sollte unbedingt noch bekannter werden. Er umfasst 178 Seiten und ist für 14 Euro im Fachhandel erhältlich.

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