Gender Theory – Eine Einführung von Riki Wilchins

 

Dieses Buch soll eine Einführung ins Thema „Geschlechtsidentität“ sein. Das alleine ist schon verwirrend, weil es sich danach anhört, als ob es für Akademiker/innen geschrieben ist, die einen Gesamtüberblick über diese Thematik kriegen sollen. Dem ist nicht so: erstens werden mit diesem Werk Laien angesprochen, zweitens kann so ein dünnes Bändchen überhaupt keinen Überblick über diese Thematik bieten. Was tut also Riki Wilchins, die eine Menschenrechtlerin ist und seit 1995 die Geschäftsführerin der Organisation „Gender Public Advocacy Coalition (Gender PAC)“? Sie versucht die Gedanken großer Philosophen wie Derrida, Foucault und Butler anhand von konkreten Beispielen und eigenen Erfahrungen zu erklären. Sie möchte deren komplexe Theorien allen Interessierten zugänglich machen und aufzeigen, wie bereits jetzt eine neue Generation die Werkzeuge der Queer- und Gender-Theory nutzt, um ihr eigenes Weltbild zu konstruieren. Außerdem soll das Ziel des Buches sein, die „natürliche Ordnung der Geschlechter“ zu überdenken und die eigene Geschlechtsrolle zu hinterfragen.

Zunächst einmal muss der Versuch der Autorin honoriert werden, Gender Theory und Queer Theory zusammenzuführen. Die Gender Studies, die ursprünglich aus der Frauenforschung der 70er Jahre hervorgingen, und die Queer Studies, die neueren Ursprungs, nämlich aus den 90ern sind, gehen normalerweise arbeitsteilig an ihre Aufgaben. Die letzteren entstanden aus den philosophischen und literaturwissenschaftlichen Zusammenhängen des französischen Poststrukturalismus. Gender- und Queer Studies berühren sich bei der Analyse von Ungleichheit, Macht und Herrschaft rund um Geschlecht und Sexualität. Doch nun ist die Zeit gekommen, um beide Richtungen zusammenzuführen, denn der Geschlechterforschung scheint der Hauptbegriff Geschlecht verloren gegangen zu sein – was sind denn Frauen? – und die Queer Studies fühlen sich immer weniger nur für Abweichungen rund um die Sexualität zuständig. Sie setzen sich mit Normalitäten und ihren Konstruktionen auseinander.

Grundsätzlich ist dieses Buch sehr wichtig, weil sich die Leserinnen und Leser vielleicht das erste Mal Gedanken über das Thema Geschlecht und Sexualität machen und wie sie miteinander verstrickt sind. Es ist überaus wichtig zu verstehen, wie die Mechanismen in unserer Gesellschaft funktionieren, was diese Thematik angeht. Und die Mechanismen betreffen jede Schicht und jede Gruppe, auch Minderheiten untereinander. Wie oft hören wir von Schwulen untereinander Vorbehalte gegenüber Untergruppen. Es fängt mit Schwulen an, die Heterolike sind, die etwas gegen Tunten haben. Ich nenne diesen Effekt den „Al-Daif“-Effekt, seitdem ich Joachim Helfers Buch über die Verschwulung der westlichen Welt gelesen und es rezensiert habe. Genauso wie heterosexuelle, konservative Männer Schwule als unmännlich und passiv wahrnehmen, Frauen gleichsetzen – allerdings unter ihrer Prämisse, dass Frauen minderwertig sind, tun dies heterolike Schwule ebenso. Gang und Gäbe sind auch Verschmähungen von Butch-Lesben oder Cross-Dressern. Eine tiefe Abneigung und Verständnislosigkeit gegenüber Transsexuellen und Transgendern ist ebenso allenthalben spürbar. Gerade Gruppen, die selbst diskriminiert werden, neigen genauso dazu, andere Gruppen zu diskriminieren, die von der Norm abweichen.

Doch es geht weiter: die Geschlechtskategorien an sich sind zu überdenken. Was ist männlich, was ist weiblich, was ist maskulin, was feminin? Und hier beginnt einerseits der ansprechende Aspekt des Buches, weil es zum Reflektieren anregt, aber auch der Schwachpunkt: denn hier taucht nicht zum ersten Mal eine Begriffsverwirrung auf, die einen alleine dastehen lässt. Oftmals hat man das Gefühl, entweder ungebildet zu sein, weil man die Hintergründe des ganzen Werks nicht verstehen kann, oder leicht von Begriff, weil man manche Erklärungen einfach nicht versteht. Doch dies hat teilweise ganz andere Gründe. Erstens scheint dieses Buch eine Fehlbesetzung für den deutschen Markt zu sein: die Geschichte der Frauen- und Homosexuellen-Rechte in den USA sind interessant und wichtig, aber für die deutsche Leserin und den deutschen Leser reichlich undurchschaubar. Genauso wenig wie die Geschichte der genannten Organisationen und die vielen Namen, mit denen die Autorin freigebig um sich wirft. Zweitens sind diese komplexen Theorien und der Versuch, sie für den Laien zu übertragen, eine lobenswerte Angelegenheit, nur müsste dabei gewährleistet sein, dass sie weder unzulässig verkürzt, noch verwässert oder gar fälschlich wiedergegeben werden. Oftmals kommt man beim Lesen in die Situation, sich zu fragen, ob man die Theorien nochmals nachschlagen sollte beziehungsweise am besten gleich die Primärtexte zumindest im Auszug zu lesen. Noch häufiger allerdings fragt man sich am Ende des Kapitels: Und jetzt? Was fange ich denn mit diesem Wissen an? Und wie frustrierend, dass es keine Lösung für all die Probleme gibt. Positiv betrachtet kann man dann allerdings äußern, dass man bis zum Ende dabei bleibt, weil man die Hoffnung hat, dass es doch noch eine Möglichkeit gibt, die Welt zu verändern.

Natürlich gibt es diese immer! Das wissen wir alle so genau und sonst hätte auch diese Radiosendung keinen Sinn. Wir wollen einen Beitrag dazu leisten, dass die Gesellschaft demokratischer und toleranter wird. Doch wie überall sonst auch müssen wir erst einmal bei uns selbst anfangen. Fragen wir uns doch einmal, warum wir in unserer eigenen Sendung nur Schwule als Mitarbeiter haben, warum keine Lesben, Transgender und Cross-Dresser bei uns mithelfen möchten. Fragen wir einmal, warum bestimmte Thematiken selten bis gar nicht vorkommen. Woran liegt das? Nun, zumindest möchte ich all diejenigen aufrufen, sich bei uns zu beteiligen, die sich die gleichen Fragen stellen. Die sich auch fragen, was der CSD heutzutage noch soll, wenn 75 Prozent der Besucherinnen und Besucher das nur als weiteren Spaß-Event betrachten und sich zwei Tage lang betrinken, tanzen und potenzielle Lebenspartnerinnen und Partner anbaggern, ohne sich um den politischen Hintergrund zu kümmern.

Hannes Stein schreibt: „Die Freundlichen, Intelligenten und Hilfsbereiten sind gerecht unter allen Seiten verteilt. Es gibt sie also bei den Homos und bei den Heteros genau im gleichen Maße – wie auch die Stumpfen, Kalten und Gleichgültigen. Das kann im Ernst niemanden überraschen. Befremdlich ist jedoch, wenn das Schwulsein mit tieferer Bedeutung aufgeblasen, wenn es zum Lebensinhalt gemacht wird; befremdlich das Bemühen, etwas so Zufälliges und letztlich Belangloses wie die sexuelle Orientierung zur Weltanschauung hochzujubeln. Befremdlich ist, mit einem Wort, die HOMOSEXUALITÄT, wenn sie in Großbuchstaben geschrieben wird.“

Spricht das gegen den CSD, gegen unsere Sendung, gegen dieses Buch von Riki Wilchins? Nein, tut es nicht. Der CSD, diese Sendung, das Buch sprechen für Partizipation an unserer Demokratie, sie sprechen dafür, sich oder bestimmte Merkmale nur insofern wichtig zu nehmen, wenn sie ein Grund sind, aus der Gesellschaft ausgeschlossen und diskriminiert zu werden, schlechtere Jobs oder Wohnungen aus diesen Gründen zu erhalten. Sie fordern auf, sich selbst zu reflektieren, sich politisch zu engagieren, für sich selbst und für andere einzustehen und vor allem den Mitmenschen die gleichen Forderungen, Wünsche, Rechte und Pflichten zuzugestehen wie einem selbst. Hannes Stein hat etwas gegen diejenigen, die nicht über den Tellerrand hinausschauen, gegen diejenigen, die sich darüber echauffieren, dass sie wegen ihrer Homosexualität benachteiligt werden, ohne sich aber um Homosexuelle in anderen Ländern zu kümmern, die deswegen verfolgt, gefoltert, umgebracht werden. Er hat etwas gegen diejenigen, die sich um ihre Rechte als Homosexuelle sorgen, denen aber alle anderen Minderheiten wie Transgender, Cross-Dresser, selbst schon Untergruppen in ihrer eigenen „Community“ herzlich egal sind, im Gegenteil: die sogar selbst diskriminieren und anderen ihre Rechte streitig machen.

Um sich selbst zu reflektieren und sich Gedanken um die Konstruktion von Geschlecht und Sexualität zu machen, ist dieses Buch sehr gut geeignet. Möchte man jedoch eine lohnenswerte Einführung in die Queer Theory lesen, empfehlen Kolleginnen und Kollegen das Buch „Queer Theory – ein Problemkind der Zwangsehe schwuler und lesbischer Politik“ von Annemarie Jagose, ebenfalls im Queer Verlag erschienen.

Das Sachbuch „Gender Theory – Eine Einführung“ von Riki Wilchins ist 2006 im Quer Verlag erschienen, umfasst 187 Seiten und ist in einer Taschenbuch Ausgabe für 14,90 Euro im Fachhandel erhältlich.

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