Schwule Nachbarn von Detlef Grumbach (Hrsg.)

 

Anlässlich des 15jährigen Bestehens des Verlags Männerschwarmskript gab Detlef Grumbach einen Erzählband heraus, in dem 22 namhafte Autorinnen und Autoren, die nicht homosexuell sind, die Aufgabe erhielten, etwas über das Thema „Schwule Nachbarn“ zu schreiben. Präziser gesagt war die Einladung an dieser Anthologie teilzunehmen offener: der Verlag „…wünsche sich Geschichten, in denen es um eine sprachliche und emotionale Begegnung mit schwulem Leben, einem schwulen Menschen, einer schwulen Figur geht, alleine der inneren Wahrheit des Textes verpflichtet“. Dabei erinnert die Situation der „Schwulen Nachbarn“ ein bisschen an die anderen Nachbarn, die Migranten, ein in der Vergangenheit ebenso nur am Rande behandeltes Thema in der deutschen Literatur und erst durch einige Verfasserinnen und Verfasser so genannter Migrantenliteratur mehr in den Blickpunkt genommen worden. Da sind neben Sevgi Emine Özdamar und Selim Özdagan auch Feridun Zaimoglu zu nennen.

Letzterer hat einen Beitrag zu diesem Werk geliefert. Zwei junge türkische Männer reden in einer Kneipe über einen Mann, der ihnen begegnet. Er ist bekanntermaßen schwul – er ist der Nachbar des einen jungen Mannes. Im Grunde genommen sind beide nicht sehr negativ gegenüber Sexualität zwischen Männern eingestellt, das hört man aus gewissen Andeutungen heraus. Das Problem ist ein anderes, und dieses wurde bereits vor kurzer Zeit hier an gleichem Ort erläutert, als ich das Buch „Die Verschwulung der Welt“ von al-Daif und Helfer vorstellte: mit Männern Sex haben darf man, nur darf man nicht dabei passiv sein, also einer Frau ähnlich. Das kommt auch hier heraus. Sich tuntig bewegen, offensichtlich passiv sein, weiblich konnotiert, das darf man eben nicht.

Weitere namhafte Autorinnen und Autoren sind Doris Gercke, Ingo Schulze, Bodo Kirchhoff, Uwe Timm, Barbara Frischmuth und viele andere. Manche haben allerdings auch abgelehnt, wie Detlef Grumbach schreibt. Sie fühlten sich nicht dafür zuständig, so als wären nur homosexuelle Autorinnen und Autoren dafür zuständig homosexuelle Figuren zu beschreiben. Andere kennen angeblich keine Homosexuellen oder mochten ihre aktuellen Projekte, die nichts mit dem Thema zu tun hatten, nicht unterbrechen.

Die Texte sind in unterschiedlichen Genres verortet. Uwe Timm hat beispielsweise einen Essay über Wolfgang Koeppen, der vermutlich homosexuell war und der lange vor dem gesellschaftlichen Aufbruch Ende der 60er Jahre eine schwule Hauptfigur als Rebell in seinem Roman: „Der Tod in Rom“ zeichnet. Damit leistet er bemerkenswerte Pionierarbeit, die allerdings kaum jemand so wahrgenommen hat, Uwe Timm selbst stellte dies erst vor kurzem voller Erstaunen fest.

Bodo Kirchhoff hingegen verfasst einen literarischen Text, in dem ein Erzähler in Rückblicken von einem Erlebnis in der Jugendzeit berichtet, das ihn sehr prägte und ihn seitdem nicht mehr losließ. Er wird als Zwölfjähriger in ein Internat gebracht, in dem er sich erst verloren vorkommt. Bald jedoch lernt er den Kantor kennen und fühlt sich zunächst wohl mit ihm. Doch eines Abends nimmt letzterer ihn mit ins Schilf. Genau erfährt man nicht, was passiert ist, aber angedeutet wird ein sexueller Missbrauch und der Mord des Jungen an seinem schadhaften Erzieher. Wieso Kirchhoff ausgerechnet die Geschichte eines Pädophilen aussucht für diesen Erzählband ist mir schleierhaft. Was er damit bezwecken möchte, welchen Gewinn uns das Lesen dieser Geschichte ist auch nicht klar. Man fragt sich, wieso ihm ein negativer Charakter zu dem gestellten Thema einfällt.

In Doris Gerckes Geschichte, die auch nicht besonders aufregend erscheint, ist der Homosexuelle einmal mehr ein Künstler, so wie übrigens in vielen der zweiundzwanzig Erlebnisse, wie der Untertitel dieses Werkes lautet. Sie sind Schauspieler, Drehbuchschreiber, Filmer, Musiker, arbeiten in der Modebranche undsoweiter. Homosexuelle haben Sinn für Mode und Ästhetik, sie sind sensibel, flatterhaft und promiskuitiv.

Manchmal, ja manchmal, möchten die Autorinnen und Autoren diese Klischees durchbrechen, wie zum Beispiel Christine Wunnicke in ihrem Text „Orchideen“, in dem ein heterosexueller nicht unbedingt handwerklich begabter Mann bei seinem schwulen Nachbarn die Toilettenspülung reparieren möchte, nur um in das Bad des Homosexuellen zu gelangen und zu schauen, ob da eine Orchidee steht. Denn, so sagt die Frau des Heterosexuellen: jeder Schwule habe ein Orchidee im Bad und sowieso wären dies die tolleren Männer. Nur dass der Schwule überhaupt keine Orchidee hat und der Mann dafür schämt, aus diesem Grund in das Bad eingedrungen zu sein.

In anderen Texten versuchen es die Autorinnen und Autoren mit Witz und Ironie, zum Beispiel Gunter Gerlach mit „In 14 Tagen vom Homo zum Hetero“ oder Matthias Altenburg in „Fliegenfänger“. Im ersteren Erlebnis kriegt ein schwuler Sohn eine echt wirkende Roboter-Frau von seinem Vater geschenkt, mithilfe jener er bekehrt werden soll. In letzterer Geschichte spielen heterosexuelle Männer Schwule, um in ihren Jobs mehr Erfolg zu haben. Ob die beiden Beispiele witzig sind oder nicht dürfen die geneigten Zuhörerinnen und Zuhörer selbst entscheiden.

Dieser Erzählband mag diejenigen interessieren, die schon immer wissen wollten, was namhafte Autorinnen und Autoren zu diesem Thema einfällt, sonderlich erhellend und vielsagend sind diese so genannten Erlebnisse allerdings nicht. Kurzweilig sind sie manchmal, innovativ selten, aber das muss man von diesem Band auch nicht erwarten.

Der Erzählband „Schwule Nachbarn“ wurde von Detlef Grumbach herausgegeben und mit einem Nachwort verfeinert. Es umfasst 256 Seiten, ist im MännerschwarmskriptVerlag erschienen und in gebundener Form für 18,80 Euro im Fachhandel erhältlich.

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